Sprungmarke

Titel

Drei Zinnen Runde

- Ein Greenhorn wird zum Mountainbiker -
von Eckart Heinrich

Inhalt:


Wie alles begann

zum Seitenanfang

"Da könntest du doch mitfahren!" Das war der Satz, der alles ins Rollen brachte. Es war ein schöner Sommerabend. Adi, Stephan und ich saßen auf dem Rathausplatz in Kempten und ließen es uns gut gehen. Sonne, Weizen, Mädels. Was will man mehr? Stephan hatte erzählt, daß er im Herbst eine Woche mit dem Mountainbike durch die Dolomiten fahren wolle und noch niemanden gefunden hätte, der mitfährt. So kam es zu Adis Ausspruch: "Da könntest Du doch mitfahren!". Stephan schaute mich an. "Warum nicht?" Man muß dazu sagen, daß ich Stephan damals nicht besonders gut kannte. Ich glaube sogar, daß wir an diesem Abend, daß erste Mal miteinander unterwegs waren. Im Frühjahr hatte ich mich entschlossen, mir auch ein "Geländefahrrad" zu kaufen. Es war noch nicht lange her, daß ich eine Rapidfire-Schaltung für etwas militärisches hielt und bei leichten Anstiegen war ich recht bald am Ende. Aber es machte mir schon Spaß, mit dem Rad durch die Gegend zu düsen. Und jetzt dies. Eine Woche durch die Dolomiten. Wochentouren waren schon mein Ding. Nur bisher war ich immer zu Fuß unterwegs. Oberstdorf-Meran, Korsikadurchquerung, 4 Daagse in Nijmegen. Warum nicht mal mit dem Rad unterwegs sein? "Also abgemacht! Anfang September soll es losgehen? Ich bin dabei!"

Die Tourenplanung war im Prinzip kein Problem. Die Route war in einer Mountainbike-Zeitschrift veröffentlicht worden. [ 1 ] Gleich mit Übernachtungsvorschlägen und Höhenprofil. Richtig gut ausgearbeitet also. Aber es ergaben sich andere Probleme. Das erste Problem war schon mal daß Gepäck. Was nimmt man zu so einer Tour mit? Sport- oder Trekkingschuhe? (Radelschuhe und Klickpedale waren damals noch kein Thema). Was für Regenbekleidung? Welches Werkzeug? Was, wenn es kalt wird? Fragen über Fragen. Nehme ich einen Schlafsack mit? Als ich alles, was ich gerne mitnehmen wollte, auf einem Haufen hatte, wurde mir klar, daß ich höchstens die Hälfte mitnehmen konnte. Schlafsack ist Luxus. Zwei Übernachtungen sind in Berggasthöfen. Da braucht man keinen Schlafsack. Eine Übernachtung ist in einer Alpenvereinshütte. Wie wäre es mit einem Hüttenschlafsack?
Ich glaube ich kaufe mir noch eine "richtige" lange Radelhose. Mit meiner Adidas Trainingshose (70er Jahre) schauen mich die Leute immer so mitleidig an. Die Vorbereitungen waren also gar nicht so einfach.Über solche Kleinigkeiten wie das Wetter haben wir kein Wort verloren. Wir sind beide davon ausgegangen, daß das Wetter nicht schlecht sein kann.

Schließlich kam der Tag der Tage. Am 5. September 1994 sind wir gestartet. Über Fernpaß, Innsbruck, Brenner, St. Martin, Valparolapaß ging es zum Falzaregopaß. Da standen wir also. Hier sollte die Tour losgehen. Am Paß war schon einiges los. Es war zwar Montag aber es war halt doch noch Urlaubszeit. "Da fahr ich nicht hoch!" war meine erste Reaktion, als ich den schier senkrechten Wanderweg sah, der genau vor unserem Auto losging und auf das Rifugio Monte Lagazuoi führte. Aber das war auch nicht unser Weg. (Der war schlimmer!) Nachdem wir unsere Sachen geordnet hatten, ließen wir das Auto zurück und machten uns auf den Weg. Die Tour hatte begonnen.


Mister 1:1

zum Seitenanfang

An Anfang haben wir Probleme den rechten Weg zu finden aber schließlich klappt es doch. Es ist warm, an diesem Vormittag. Der Anstieg ist noch nicht steil, ich habe aber schon meine Schwierigkeiten. Nach einer Stunde ist mir klar, daß ich viel zuviel Gepäck auf dem Rücken habe. Es sind, trotz aller ausmisterei, doch so 9 kg geworden. Meine Hoffnung ist, daß ich mich daran gewöhne und es dadurch leichter wird. Die vielen Wanderer, die am Falzarego Paß (2105m) unterwegs waren, sind vergessen. Hier sind wir alleine. Die Gegend ist grandios. Ich kann sie aber noch nicht richtig genießen. Ich bin voll und ganz damit beschäftigt genug Sauerstoff in meine Muskulatur zu bekommen. Ich bin froh um jede Fotorast. Das gibt mir wieder die Möglichkeit zu Atem zu kommen. Wir kämpfen uns eine alte Militärpiste hinauf. Als wir zu einem Felstunnel kommen, bin ich restlos begeistert. Eindrucksvoll ist die Gegend schon. Inzwischen brennt die Sonne gnadenlos. Ich bin naß geschwitzt!

Wir kommen auf einen Sattel. Col de Bos (2330m). Das "Fahrstraßen" bis in diese Höhe führen hätte ich nicht gedacht. Im ersten Weltkrieg haben die Militärs diese Nachschubwege gebraucht und mit großen Aufwand gebaut. Unterstände, Stellungen und verrostetes Sperrenmaterial berichtet noch aus dieser dunklen Zeit.(Heute haben diese Wege endlich einen vernünftigen Nutzen. Sie dienen uns Mountainbikern als ideale Fahrwege.)

Am Col de Bos komme ich recht schnell wieder zu Kräften. Nach einer kurzen Rast geht es weiter. Das Travenanzestal wartet auf uns. Stephan ist ein begnadeter Trailfahrer. Bald ist er nicht mehr zu sehen. Spielerisch fährt er den extrem schwierigen Weg hinab. Ich habe Schwierigkeiten mit der Konzentration. Die Umstellung von kraftvoll bergauf schinden zu spielerisch, aber hoch konzentriert, bergab fahren habe ich noch nicht drauf. Ein Moment der Unachtsamkeit und völlig unvermittelt taucht mein Vorderrad unter mir weg. Ich fliege im hohen Bogen durch die Luft und lande weich auf dem Rücken. Latschen am Rande des Flusses haben meinen Sturz abgefangen. Als ich wieder weiß wo oben und unten ist fühle ich mich wie eine Schildkröte, die auf den Rücken gedreht wurde. Ich liege in meinem Latschenbett und komme nicht hoch. Links von mir geht es recht steil bergab. Ich versuche mich also vorsichtig nach rechts zu retten. Irgendwann gelingt dies endlich. Alle Knochen sind noch heil, das Rad ist auch in Ordnung. Da hab' ich noch mal Schwein gehabt! Also, ab jetzt wird vorsichtig gefahren. Ich will die Tour ja überleben.

Stephan beim Fahren zuzusehen ist echt eine Freude. Wie leicht er die Stufen meistert ist schon eindrucksvoll. So eindrucksvoll wie die Gegend. Das Travenanzestal ist ein landschaftliches Highlight.
Es ist schwierig einen Weg zu finden. Jetzt, wo wir praktisch im Flußbett unterwegs sind, ist kein Weg mehr zu erkennen. Wir sind sicher, daß hier durch starke Regenfälle der Wanderweg einfach weggespült wurde. Wir müssen viel schieben. Ab und zu kann man (Stephan) wieder ein Stück fahren, dann müssen wir wieder schieben. Schließlich endet der Wanderweg und wir kommen an eine Schotterpiste. (1462m) Inzwischen ist es Nachmittag. Die Sonne brennt immer noch erbarmungslos runter.

Bald geht es weiter auf der Piste, die dann schließlich, nach einer schönen flachen Waldpassage, auf die SS51 mündet. Auf dieser stark befahrenen Straße müssen wir aber nur ein kurzes Stück (circa 2 km) fahren. Dann biegen wir ab in das Val Grande. Von hier geht es hinauf zum Etappenziel Rifugio Son Forca. Nachdem wir wieder von der Hauptstraße fort sind, machen wir eine längere Rast. Stephan bereitet sich ein Müsli. Ich esse auch irgendwas. Ich spüre die Anstrengung in jedem Knochen. Die Sonne brennt auf die schweißnasse Haut. Ich bin richtig fertig. Ein schönes Gefühl!

Der Weg zum Rifugio ist gut zu fahren. Weite Teile muß ich aber schieben. Ich frage mich wie Stephan das macht. Er fährt wie ein Uhrwerk, Meter für Meter den Berg hinauf. Schließlich kommt die Hütte in Sicht. Schaut gut aus. Die letzten Meter sind noch mal richtig steil. Stephan wundert sich nun doch, warum ich immer wieder zurückbleibe. Er sieht sich mein Rad genauer an. Schließlich schaut er entrüstet zu mir hoch. "Mit was für einer Übersetzung fährst denn du in den Dolomiten herum? Das ist ja 28:28, also 1:1!!! Wenn ich das gewußt hätte, hätte ich dich gar nicht mitgenommen!" Diese Worte treffen mich nun doch hart. Woher soll ich denn wissen, daß es da verschieden Übersetzungen gibt? Ich habe ja schließlich ein Bergrad und kein Hollandrad gekauft. Jetzt ist mir auf jeden Fall klar, warum sich der Stephan bergauf doch leichter tut. Aber wir haben die erste Etappe jetzt erst einmal geschafft.

Auf der Terrasse stehen noch andere Bikes. Es scheinen noch mehr Verrückte unterwegs zu sein. Das Rifugio Son Forca ist eine schöne Hütte. Wir quartieren uns in einem Sechsbettzimmer ein. Nach einer Dusche schaut das Leben einfach wieder freundlicher aus. Mal sehen wie das Essen ist. Die freundliche Bedienung sagt uns was es so gibt. Auf jeden Fall nehmen wir eine große Karaffe Rotwein.

Fünf andere Biker sind noch auf der Hütte. Zwei Zweierteams und ein Einzelgänger. Wir kommen ins Gespräch. Bald wird klar, daß wir die gleiche Tour vorhaben. Die anderen sind auch heute Morgen gestartet. Einer ist schwer aufgebracht wegen des Travenanzestales. "Da war ja kein Meter fahrbar!", "Wo soll den da ein Weg gewesen sein?", "Da schreibe ich einen gewaschenen Leserbrief an die Bike-Zeitung!", "Das ist ja reine verarsche!". Ich bin nach wie vor der Ansicht, daß der Weg bei einem starken Unwetter einfach weggespült wurde. Das kann in diesen Höhen immer mal passieren. Und hier ist dann halt kein Bauhof zur Stelle, der schnell mal einen neuen Weg baut. So diskutieren wir eine ganze Weile und es wird klar, daß sich hier eine echt nette Truppe zusammengefunden hat. Der Einzelgänger heißt Jörn, dann sind da Oliver und Manfred, Dieter und ein Stefan. Um Verwechslungen zu vermeiden, nennen wir den neuen Stefan einfach "Sanni". (Er ist Sanitäter von Beruf). Als Stephan erzählt, mit was für einer Übersetzung ich hier herumfahre, sind alle ungläubig. So doof kann doch keiner sein!? Ha Ha! Auf jeden Fall bin ich mal genauso weit gekommen, wie alle hier. (Später hat sich dann herausgestellt, daß ich nicht mit 1:1 unterwegs war sondern mit 26:28.) Meinen Spitznamen habe ich auf jeden Fall weg: "Mister 1:1".

Nach vielen Geschichten und noch mehr Rotwein gehen wir auf unser Zimmer und richten uns für die Nacht. Im Traum fahre ich die heutige Etappe noch einmal. Erstaunlicher Weise kann ich im Traum viel mehr Passagen fahren.


Massensturz

zum Seitenanfang

Das Frühstück ist eher Italienisch. Also für Radler nicht gehaltvoll genug. Dafür ist das Wetter ist wieder sehr vielversprechend. Im Moment ist es noch recht frisch. Ich kann also das erste Mal meine neue lange Radelhose ausprobieren. Mir kam es erst schon ein wenig komisch vor, diese enge figurbetonte Hose. Als Radler trägt man so was aber scheinbar. Die Verkäuferin meinte auf jeden Fall "Die paßt super!". Na da mußte ich sie doch nehmen, oder?

Wir haben zwar alle die gleiche Richtung, haben aber trotzdem ausgemacht, daß jede Gruppe für sich fährt und keiner auf den anderen Rücksicht zu nehmen braucht. Wir werden uns ja Abends wieder treffen. Zufällig ergibt es sich, daß wir mit Oliver und Manfred gemeinsam losfahren. Die Hütte liegt direkt an einem Sessellift. Wir fahren nicht den Wanderweg sondern die Skipiste hinunter. Ein gravierender Fehler, wie wir alle nach circa 500 Metern feststellen müssen. Stephan merkt, daß es zu steil wird und schafft es noch sich in den weichen Hang zu manövrieren. Olivers Vorderrad stellt sich quer und der Mantel wird richtig runtergequetscht. Mich legt es auf die Seite und ich spüre wie der eine oder andere Stein sich in meinen Oberschenkel schneidet. Manfred kann noch das schlimmste verhindern. Er ist als letzter unterwegs und dadurch ist er vorgewarnt. So, daß war es also. 500 Meter hat meine neue Hose gehalten. Jetzt klaffen große Löcher. Die kurze Hose, die ich drunter trage, hat es auch erwischt. Dem Bein hat es aber kaum was getan. Also, noch mal gut gegangen.

Der größte Schaden ist an Olivers Rad. Der Mantel ist runter und der Schlauch auf halber Länge aufgeschlitzt. Die Felge ist arg verschrammt. Also ist flicken angesagt. Als wir dann wieder bereit sind, fahren wir vorsichtiger weiter. Der Weg wird besser. Es geht durch einen Wald, bis wir an die Hauptstraße kommen. Wir können sie aber schnell wieder verlassen. Sobald es wieder bergauf geht merke ich wieder das viele Gepäck und bald muß ich wieder schieben. Ich merke aber auch, daß ich bergauf schiebend nicht langsamer bin als die anderen, wenn sie radeln. Ich muß aber realistisch feststellen, daß dies hier deutlich über meinem Radelniveau liegt.

Nach einigem auf und ab kommen wir zum Misurinasee (1799m). Ein wirklich schöner See. Ich brauche eine Zeit, bis ich es richtig genießen kann. Ich muß erst wieder zu Kräften kommen. So geht das nicht weiter. Die Bergauf-Passagen zehren zu sehr an meinen Kräften. Auch möchte ich nicht zu sehr zum Hemmschuh für Stephan werden. Er hat zwar noch nichts gesagt, aber ich mache mir diese Gedanken trotzdem. Damit alle etwas von so einer Tour haben, müssen die Leistungsniveaus schon näher beieinander liegen. So komme ich zu dem Entschluß, die Tour etwas zu variieren. Ich werde den Nachmittagsuphill zu den "Drei Zinnen" auslassen und gleich hier, vom See aus, durchstarten zum Etappenziel. Das spart mir viele, viele Höhenmeter und ich kann dann, entsprechend erholt, die nächsten zwei Tage angehen. Stephan ist einverstanden. Er hat ja Gesellschaft. So trennen wir uns hier. Die Truppe fährt über die Mautstraße zur Auronzohütte (2320m) und dann weiter, an den "Drei Zinnen" vorbei, zur Drei Zinnen Hütte (2405m). Von dort geht es dann das Rienztal hinab, bis zur Hauptstraße. Schließlich am Dürensee vorbei nach Schluderbach.

Ich fahre vom Misurinasee direkt über die SS48 nach Schluderbach (1437m). Hier beginnt dann der Anstieg zum heutigen Etappenziel, der Dürensteinhütte (2040m). Die Militärpiste schraubt sich mit gemütlicher Steigung die Höhenmeter hinauf. Ich stelle fest, daß ich mit gleichmäßigem Tempo besser voran kommen, als wenn ich immer versuche anderen hinterher zu hetzen. Ja ja, ich muß noch viel lernen. Die Tour ist trotzdem super. Die Landschaften begeistern mich. Ein echtes Erlebnis. Als ich an der Hütte ankomme herrscht noch reges Tagesausflugstreiben. Ich kündige die Biketruppe schon einmal an und überlege, was ich mit den angefangenen Nachmittag noch anfangen könnte. Ich entscheide mich für einen Ausflug zu den Strudelköpfen (2308m). Ein ganz neues Gefühl, ohne Gepäck und ohne Rad. Völlige Stille um mich herum. Man kommt sich einsam vor. Und man bekommt den Eindruck, man hätte alle Zeit der Welt.

Als ich wieder zur Hütte komme, ist Ruhe eingekehrt. Ich lasse es mir noch auf der Terrasse gutgehen. Die Abendsonne scheint mir auf den Pelz. Schließlich kommen die anderen. Sie haben natürlich einiges zu erzählen. Die "Drei Zinnen" und vor allem das Rienztal seien schon toll gewesen. Ich bin trotzdem froh, daß ich mir die 800 zusätzlichen Höhenmeter gespart habe. Ich bin mir sicher, daß ich durch diese Abkürzung die verbleibenden zwei Tage besser verkraften werde. Der Downhill durch das Rienztal muß alles gefordert haben. Stephan heißt seit dem "Kamikaze". Wie er wohl zu diesem Namen kommt?

Zu unserer lustigen Runde gesellen sich zwei Schweizerinnen. Sie unternehmen eine Zweitagestour. Heute sind sie von Cortina hierher gefahren, morgen wollen sie wieder zurück. Wir lachen viel und haben Spaß. Es stellt sich heraus, daß eine von den beiden Masseurin ist. Manfred gelingt es tatsächlich sie zu überreden, daß er von ihr eine Massage bekommt. Bestimmt eine Stunde sind sie fort. Wieder haben wir viel zu lachen. Der Rotwein tut sein übriges. Ich schlafe tief, in dieser Nacht.


Traumpfade

zum Seitenanfang

Nach einem guten Frühstück machen wir uns wieder auf die Socken. Heute ist es ein wenig diesig. Aber das wird sich schon noch richten. Erst ist technischer Dienst am Rad angesagt. Eine im Rienztal verbogene Speiche ist zu richten. Hier ein wenig schrauben, da ein wenig schmieren. Wer gut schmiert, der gut fährt. Die beiden Schweizerinnen haben sich nicht überreden lassen unserer Tour zu folgen. Sie wollen heute nach Cortina zurück. Als wir schließlich loskommen, kommen wir wieder nur ein paar hundert Meter weit. Plattfuß! Irgendwie ist das wie verhext. Gestern die Sturzserie, direkt nach dem Start und jetzt dies. Aber der Defekt ist schnell behoben und die Fahrt geht weiter. Erst geht es locker dahin. Bald aber wird es richtig heftig. Das Knappenfußtal fordert alles von uns. Selbst Stephan muß doch einiges schieben, bzw. tragen. Aber kein Vergleich mit meinen Problemen. Der Weg ähnelt an manchen Stellen auch eher einem Klettersteig, als einem Wanderweg. Dann geht es gemütlicher weiter. Wir fahren auf einer Militärpiste wieder auf über 2000m, um dann über einen netten Trail wieder 400m hinabzusemmeln. Wir kommen bei der Alpe Ra Stua (1668m) wieder auf eine alte Militärpiste und folgen dieser leicht bergan. Bald wird es steiler. Ich muß schieben. (Es geht aber allen so!). Die Landschaft ist genial. Es ist ein schönes Tal, in daß wir immer wieder zurückblicken. Aber auch der Weg, der vor uns liegt begeistert mich.

(Dieses Teilstück unserer Tour ist übrigens auch Teil der "Fanesrunde" [4] + [5]. Eine der schönsten Tagestouren, die ich in den Dolomiten kennengelernt habe.)

Kurz vor der Senneshütte (2122m) kommt unsere Abzweigung Richtung Seekofelhütte (2327m). Dort wollen wir übernachten. Es zieht Nebel auf. Der Weg wird mit jedem Augenblick gespenstischer. Die spärliche Vegetation, die bizarren Felsformationen und der Nebel ergeben eine eigentümliche Mischung. Ich finde nicht die richtigen Worte, um diese Stimmung zu beschreiben. Man muß es erlebt haben. Als wir schließlich bei der Seekofelhütte ankommen, kann man wirklich bald nicht mehr die Hand vor den Augen sehen. Wir quartieren uns ein. Dies ist die einzige Alpenvereinshütte auf der wir übernachten. Sie ist spartanisch eingerichtet. Dies kümmert uns aber nicht weiter. Wir bekommen sogar ein Zimmer für vier Personen. Die anderen sind noch nicht da. Da wir nicht wissen, ob sie noch kommen, sagen wir dem Wirt nur, daß vielleicht noch drei Personen nachkommen. Als wir uns dann zum Essen richten, kommen sie tatsächlich. Sie sind recht abgekämpft. Aber das waren wir bei unserer Ankunft auch. Es gibt Pasta und Rotwein bis zum Abwinken.

Die Hütte scheint ziemlich voll zu sein. Außer uns ist noch eine große Gruppe Nordlichter beim Abendessen. Es dauert nicht lange, bis es die ersten Ausfälle gibt. Wie ich besoffene Frauen hasse. Die Stimmung lassen wir uns aber nicht verderben. Es wird wieder ein netter Abend, mit viel Geschichten rund um die heutige Etappe und das schöne Leben schlechthin.

Als es uns dann in die Kiste treibt, sind die Nordlichter noch schwer zugange. Sie "singen" uns in den Schlaf. Die Bretter zwischen den Zimmern sind circa zwei Zentimeter dünn. Ich höre direkt neben mir mindestens drei Mädels mit dem Tode ringen. Die große Kotzerei ist in vollem Gange. Ich habe einen unruhigen Schlaf.


Total plemm plemm

zum Seitenanfang

Am nächsten Morgen ist es eher ruhig. Tote schlafen länger. Wir bekommen ein spärliches Alpenvereinsfrühstück und machen uns wieder vom Acker. Das Wetter ist wie umgedreht. Der Himmel ist blau und wir sehen keine Wolke. Heute wird sicher wieder ein heißer Tag. Das erste Stück des Weges ist das gleiche wie gestern. (Die Hütte liegt in einer Sackgasse!) Ohne Nebel schaut die Gegend ganz anders aus. Eigentümlich bleibt sie trotzdem.

Vorbei an der Senneshütte (2122m), führt uns eine Militärpiste weiter über das Rifugio Fodara Vedla (1972m), wieder durch eine sehr schöne Gegend. Langsam bekommt die Strecke einen immer stärkeren Drang ins Tal. Schließlich münden wir in einen affensteilen Downhill. Erst auf tiefem Schotter, dann auf einer Betonpiste, tückisch mit Steinen bedeckt, rasseln wir zu Tal. Die Bremsen glühen. Die Kehren sind der Kick des ganzen Unternehmens. Schließlich landen wir in Pederu (1540m). Man war das ein Ritt!

Hier unten wird uns klar, daß wir auf der Betonpiste Glück hatten, daß uns nicht eines der Jeep-Taxis erwischt hat. Sie fahren Touris zur Senneshütte und nehmen nicht viel Rücksicht auf die, die sonst unterwegs sind. Wer bremst verliert, scheint ihr Motto zu sein.

Manfred schaut gar nicht gut aus. Er ist sich nicht sicher, ob es das Essen, der Rotwein oder der wenige Schlaf war. Ihm ist auf jeden Fall kotzübel. So weit, so schlecht. Wir fahren weiter Richtung Faneshütte. Erst gibt die Gegend nicht besonders viel her. Mit jedem Meter aber wird es schöner und schöner. Schließlich kommen wir zur Faneshütte (2060m). Es handelt sich eher um ein Hotel. Es sieht nicht sehr einladend aus. Manfred geht es immer schlechter. Den Anstieg gleich nach der Hütte verschnauft er schier nicht. Ich nehme seinen Rucksack und gemeinsam schieben wir hinauf. Alle merken wir, daß uns die Anstrengungen der letzten Tage in den Knochen stecken. Schließlich sind wir oben.

Wir rasten auf einem Hochplateau. Langsam machen wir uns sorgen um Manfred. Wir schätzen, daß wir so in drei Stunden beim Auto sein werden. Manfred und Oliver haben, wie wir, am Falzaregopaß geparkt. Es gibt keine andere Wahl für Manfred. Er muß aus eigener Kraft hinunter kommen. Eine Prüfung steht uns noch bevor. Es gilt einen üblen Wanderweg hinunter zu kommen. Stephan kann mal wieder weite Teile fahren. Der Rest der Truppe kann das nicht von sich behaupten. Wanderer, die uns entgegen kommen, halten uns für total plemm plemm. Mir gefällts!

Beim Capanna Alpina (1726m) haben wir dann wieder "festen Boden" unter den Füßen. Wir rollen bis zur Hauptstraße. Unser Abenteuer geht zu Ende. Manfreds Zustand bringt uns dazu ein wenig zu improvisieren. Olli fährt mit Stephan direkt über den Valparolapaß zum Falzaregopaß und ich bleibe mit Manfred bei einem Gasthof zurück. Auf dem Weg zurück im die Heimat müssen wir sowieso hier vorbei. Mir ist es ganz lieb, daß ich nicht mehr bis zur Paßhöhe fahren muß. Ich bilde mir natürlich ein, daß es kein Problem mehr gewesen wäre.

Eine gute Stunde dauert es schließlich, bis die beiden Retter wieder bei uns sind. Wir beschließen die Tour bei einem kühlen Bier. (Manfred trinkt Tee!) Die Räder werden verstaut und nach Adressentauch und Verabschiedung geht es ab Richtung Heimat.

Wir fahren circa eine halbe Stunde, da kommen wir in einen Wolkenbuch, daß alles zu spät ist. So eng können Himmel und Hölle zusammen liegen.


Im Nachhinein berachtet

zum Seitenanfang

Für mich war diese Tour sehr lehrreich. Ich habe mich recht blauäugig hinein gestürzt. Die fertig ausgearbeitete Tour hat mich dabei etwas eingelullt. In der Praxis hat dann alles etwas anders ausgesehen. Eine Dolomitentour ist halt doch eine Hochgebirgsunternehmung und kein Sonntagsausflug. Zum Glück konnte ich meine fehlende Bike-Kondition, Bike-Erfahrung und die schlechte Übersetzung meines Rades mit allgemeiner Fitneß wieder ausgleichen. In der Praxis hat sich gezeigt, wie relativ die Angaben in der Tourenbeschreibung waren. "Kurze Schiebepassagen im Travenanzestal" wurden in der Praxis zu 90 Minuten tragen und schieben. "Kurze Schiebepassagen unterhalb des Col Locia" waren für mich bestimmt eine Stunde unfahrbar. Stephan (Kamikaze) hingegen hat wirklich weite Teile fahren können. Wetterunbilden und das eigene Fahrkönnen machen also einiges aus. Plant dies bei eigenen Touren ein und seid immer mißtrauisch, wenn ihr das erste Mal eine Tour eines euch unbekannten Autors nachfahrt. Eine gewisse Leidensfähigkeit braucht man sicher auch, um so einer Tour Spaß abzugewinnen. Das versteht sich aber von selber. Greenhörnern, wie mir, muß es aber mal gesagt werden.

Nützlich ist es auf jeden Fall, vor der Tour die Karten genau zu studieren. So kann man eventuell mögliche Abkürzungen und Variationen schon einplanen. Ein unvorhersehbarer Zwischenfall kann einen immer zwingen, die Route zu variieren. Die Rufnummern der lokalen Rettungsdienste können in so einen Fall auch hilfreich sein.

Den Schluß der Tour haben wir, Abweichend von der Beschreibung in der "Bike" gewählt. Wir haben den direkten Weg benutzt, um schnell wieder beim Auto zu sein. Manfred hat es uns gedankt.

Als ich wieder Zuhause war habe ich mein Bike generalüberholt. Unter anderem habe ich hinten von einer "No Name"-32-Loch Felge auf eine "FIR"-36-Loch Felge umgestellt. Nachdem ich vorher alle vier Wochen einen Achter hatte, fahre ich diese Felge seit vier Jahren ohne ein Problem. (Inklusive weiterer Dolomitentouren, Alpenüberquerung und ähnlicher Gemeinheiten. Des weiteren habe ich meine Übersetzung von "1:1" auf 24:32 verbessert. Noch besser wäre noch schöner aber mehr gibt meine 7-fach LX nicht her.

Was mich nicht mehr losgelassen hat, ist der Drang mindestens einmal im Jahr eine Wochentour zu unternehmen. Heute lächle ich über die Probleme von damals. Ich denke aber, dies ist ein normaler Entwicklungsprozeß. Trotzdem kribbelt es vor jeder großen Tour immer wieder. Man probiert neue Dinge aus und ist sich nie sicher, ob alles gut geht und ob alles reibungslos funktioniert. Das ist es wohl, was ein Abenteuer ausmacht.


Reisezeit

zum Seitenanfang

Wir sind die Tour vom 5. September 1994 bis 8. September 1994 gefahren. Der frühe Herbst ist eine gute Reisezeit (Bikezeit) in dieser Gegend. Diese Zeit bringt zwar keine Hitzerekorde mehr aber die wollen wir als Biker ja sowieso nicht. Es herrscht aber klares und beständiges Wetter. Je nach Jahr kann es aber im September schon Schnee geben. Aus diesem Grund muß die Ausrüstung auf jeden Fall auf Schnee und Kälte abgestimmt sein.

Die Hauptferienzeit ist für Biker keine schöne Zeit in den Dolomiten. Dadurch, daß dieses Gebirge extrem gut erschlossen ist, tummeln sich dort abertausend Wanderer und Konflikte sind vorprogrammiert.

Verwendete Karten

zum Seitenanfang

Kompass 54; Bozen; 1:50000
Kompass 55; Cortina d' Ampezzo; 1:50000
Kompass 56; Brixen; 1:50000

Kompass 972; Die Dolomitenfront; 1:50000

Diese Karte entspricht der Kompass 55. Zusätzlich sind noch ausführliche Informationen über die Stellungen und Frontverläufe in dem Gebiet eingezeichnet. Für die Tour eignet sich aber die Karte 55 besser. In der 972 treten die Frontinformationen zu sehr in den Vordergrund. Aber als ergänzende Information ist sie für den geneigten Leser auf jeden Fall interessant.

Ergänzende Literatur

zum Seitenanfang

[ 1 ] Zeitschrift Bike 3/94; Dynamite Trails, Monte Cristallo, Drei Zinnen, Lagazuoi. Hier ist die Tour komplettbeschrieben. Nähere Info unter www.Bike-Magazin.de
[ 2 ] Zeitschrift Bike 8/94; Ergänzungen zu der Beschreibung aus der bike 3/94 (Seite 138). Nähere Info unter www.Bike-Magazin.de
[ 3 ] Zeitschrift Bike, Ausgabe 9/97, Spotgide 32, Fassatal/Canazei. Nähere Info unter www.Bike-Magazin.de
[ 4 ] ZeitschriftBike, Ausgabe 1/97, Spotgide 24, Dolomiten/Cortina d’ Ampezzo. Nähere Info unter www.Bike-Magazin.de
[ 5 ] Zeitschrift Bike, Ausgabe 6/94, Tagestouren in den Dolomiten. Nähere Info unter www.Bike-Magazin.de
[ 6 ] Bikereise 5 von Eckart Heinrich; "Ronda Grande" - Fünf Tage durch die Highlights der Dolomiten- zu finden auf: www.Bikeabenteuer.de


Technische Daten

zum Seitenanfang

Die Technischen Daten habe ich - wegen der Übersichtlichkeit - in ein anderes Dokument ausgelagert. Hier findet ihr alles zur Streckenführung und den Übernachtungsmöglichkeiten.


Übersichtskarte

zum Seitenanfang

Diese Übersichtskarte gibt einen groben Überblick über die Gegend in der unsere Tour verläuft. Details kann man auf dieser Übersicht allerdings nicht erkennen. Hierfür sei auf die angegebenen Detailkarten verwiesen.


Bilder der Tour

zum Seitenanfang

Die Bilder zur Tour habe ich - wegen der Dateigröße - in ein anderes Dokument ausgelagert. Hier findet ihr ein paar optische Highlights der Tour. Leider muß ich mich natürlich auf ein paar Bilder beschränken. (Ich habe weder ISDN noch DSL!) Ich hoffe, es kommt trotzdem was rüber.


Stand: 9.05.2009
© by E.Heinrich